Deutschland sucht drei neue Verfassungsrichter. Über zwei Kandidaten sind sich die Parteien einig. Doch die dritte droht die Koalition zu spalten.
Hinweis: Dieser Artikel wird fortlaufend aktualisiert.
Im Ringen um die Neubesetzung dreier Richterstellen am Bundesverfassungsgericht verlangt die Union vom Koalitionspartner SPD die Absetzung der heute geplanten Wahl von deren Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf von der Tagesordnung des Bundestages. Andernfalls werde sich die Union beim Wahlgang zu der in der CDU/CSU besonders umstrittenen Brosius-Gersdorf enthalten, erfuhr die Deutsche Presse-Agentur von Teilnehmern einer Sondersitzung der Unionsfraktion vor geplanten Wahlen.
In der Unionsfraktion hieß es, man werde nun direkt Gespräche mit der SPD über die Absetzung der Wahl von Brosius-Gersdorf von der Tagesordnung aufnehmen.
Die SPD-Bundestagsfraktion will im Ringen um die Neubesetzung eine Unterbrechung der Bundestagssitzung. Für 10.30 Uhr wurde bereits eine Sondersitzung der Fraktion einberufen, wie es in einer Einladung an die Abgeordneten heißt, die der Deutschen Presse-Agentur vorlag.
Auch die Grünen laden offenbar zu einer Sonderfraktionssitzung. „Mit dem Bundesverfassungsgericht spielt man kein Roulette“, schrieb die Ko-Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann am Freitag im Onlinedienst X. Sie warf sowohl Unionsfraktionschef Jens Spahn als auch Kanzler Friedrich Merz (beide CDU) „Versagen“ vor.
Union begründet Absetzungsforderung mit Plagiatsverdacht
In der Unionsfraktion wird die Forderung, die Wahl von Brosius-Gersdorf von der Tagesordnung des Bundestags abzusetzen, mit einem Plagiatsverdacht gegen sie begründet. Dieser ziehe die fachliche Expertise von Brosius-Gersdorf in Zweifel, hieß es aus der Unionsfraktion. Das sei aber zentrales Argument für die Wahl der Kandidatin gewesen.
Eine angehende Verfassungsrichterin müsse über jeden Zweifel erhaben sein, hieß es in der Fraktion weiter. Unionsfraktionschef Jens Spahn (CDU) sowie Bundeskanzer Merz hätten der SPD die Entscheidung mitgeteilt. Der CDU-Politiker Klaus-Peter Willsch sagte der „Bild“: „Jetzt kommen auch noch Zweifel an ihrer akademischen Redlichkeit hinzu.“
Der österreichische Plagiatssucher Stefan Weber hatte am Donnerstagabend Vorwürfe veröffentlicht. Auf Nachfrage sagte er der Deutschen Presse-Agentur, er habe die Prüfung ohne Auftraggeber vorgenommen. Eine Software habe Übereinstimmungen bei der Dissertation Brosius-Gersdorfs und der Habilitationsschrift ihres Ehemanns gefunden. «Persönlich halte ich es für eher unwahrscheinlich, dass sich ein Habilitand bei einer Dissertation bedient, aber es ist freilich auch möglich“, teilte er mit.
Mehrheiten vor den Abstimmungen ungewiss
In der Union gibt es Widerstand gegen die SPD-Kandidatin, unter anderem unter Verweis auf ihre Äußerungen zum Abtreibungsrecht. Kanzler Friedrich Merz (CDU) hatte sich Mitte der Woche klar für ihre Wahl ausgesprochen, doch der Unmut in den Reihen der Unionsfraktion über Brosius-Gersdorf wuchs dem Vernehmen dennoch.
Gebraucht wird für die Wahl der neuen Richter am Bundesverfassungsgericht eine Zweidrittelmehrheit der an der Abstimmung teilnehmenden Mitglieder des Bundestages. Dafür sind neben den Abgeordneten von Union und SPD auch Stimmen von Grünen, Linken oder AfD nötig.
Für den Freitag sind eigentlich drei Wahlen geplant. Die Union schickt den bisherigen Richter am Bundesarbeitsgericht, Günter Spinner, ins Rennen. Die SPD hat neben Brosius-Gersdorf die Juraprofessorin Ann-Katrin Kaufhold nominiert.
Kreise: Einige Linke wollen für Richter Spinner stimmen
Die Linken hatten Gespräche mit der Union verlangt und auf die Dauer auch die Möglichkeit, selbst Vorschläge für Verfassungsrichter machen zu können.
Einige Linken-Abgeordnete wollen bei der Wahl für den von der Union nominierten Kandidaten Günter Spinner stimmen, um ihm eine Mehrheit ohne die AfD zu sichern. Dies erfuhr die Deutsche Presse-Agentur aus Fraktionskreisen. Zuvor hatte die Linke in einer Sondersitzung ihrer Fraktion ihre Linie abgestimmt.
Zugleich ist die Linke gegen die von der Union gewünschte Absetzung der Abstimmung über die SPD-Richterkandidatin Frauke Brosius-Gersdorf. Einer entsprechenden Tagesordnungsänderung werde man nicht zustimmen, hieß es. Nun hieß es aus der Linken, man wolle der AfD nicht den Triumph gönnen, einen Verfassungsrichter von ihren Gnaden einzusetzen. Die Politisierung der Wahl sei im übrigen sehr ungut.
Nachbesetzung am Bundesverfassungsgericht: Union, SPD und Grüne dürfen vorschlagen
Nach bisheriger Übereinkunft im Bundestag können Union, SPD und Grüne Richterkandidaten vorschlagen.
Vertreter der Unionsfraktionsführung hatten in den vergangenen Tagen dafür geworben, Brosius-Gersdorf trotz Widerständen in den eigenen Reihen zu wählen. So hatte der Vorsitzende der CSU-Abgeordneten im Bundestag, Alexander Hoffmann, der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ gesagt: „Frau Brosius-Gersdorf ist keine Kandidatin der Union, aber eine respektable Kandidatin der SPD – und ganz sicher keine linksradikale Aktivistin.“