Die Bürgermeisterin der Stadt in Südbrandenburg hat mit einem Brandbrief gegen zunehmenden Rechtsextremismus viele aufgerüttelt. Ihre Kritiker sehen Spremberg hingegen zu Unrecht am Pranger.
Am Laternenpfahl in der Nähe der Schule prangt ein Aufkleber der rechtsextremen Kleinstpartei „Dritter Weg“: „Deutschland den Deutschen“. Unweit davon an einem Verkehrsschild Sticker der „Nationalrevolutionären Jugend“. Jeder in Spremberg merke, wie das zugenommen habe, sagt Bürgermeisterin Christine Herntier. In ihrer Sprechstunde säßen Menschen voller Angst und Wut über die rechten Umtriebe in ihrer Stadt, manche in Tränen. Das könne man nicht einfach geschehen lassen, meint Herntier. Und darüber dürfe man nicht länger schweigen.
Mit einem Brandbrief zum Erstarken des Rechtsextremismus sorgt die parteilose Unternehmerin, seit 2014 Bürgermeisterin der Kleinstadt mit 22.000 Menschen im Südosten Brandenburgs, seit Tagen auch bundesweit für Aufsehen. Nun hat sie bei der Stadtverordnetenversammlung zur Diskussion gebeten. Die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger glaubt Herntier hinter sich. Aber vor der Sitzung an diesem Mittwoch erhält sie erst einmal Widerworte. In einer Telegram-Gruppe wird zu Protesten aufgerufen.
Rücktrittsforderungen an die Bürgermeisterin
Schon am Vormittag versammelt sich eine kleine Gruppe auf dem Marktplatz, einige fordern den Rücktritt Herntiers. Auf einem Plakat heißt es, die Bürgermeisterin habe dem Ansehen geschadet. „Als Bürger der Stadt Spremberg fühle ich mich mit ihren Auftritten in die rechtsradikale Schiene gedrückt.“
Das werfe kein gutes Licht auf die Stadt, sagt eine Teilnehmerin. Sie habe hier keine Angst vor Rechtsextremen, sondern vor zugereisten Männern. An Schulen seien nicht Rechtsextreme das Problem, sondern ausländische Jugendliche. Eine andere Frau sagt, die Stadt werde in den Dreck gezogen. Sie habe noch nicht gehört, dass es hier eine rechtsextreme Szene gebe.
Vor Beginn der Stadtverordnetenversammlung sagt dann auch der AfD-Stadtverordnete Michael Hanko, die Bürgermeisterin habe imageschädigend gehandelt. „Heute gebe ich ihr nicht die Hand“, meint Hanko.
Hilferuf der Bürgermeisterin
Macht hier wirklich eine Bürgermeisterin, die zuletzt 2021 mit mehr als 60 Prozent wiedergewählt wurde, ihre Stadt schlecht? Mit ihrer Sicht ist sie zumindest nicht allein. Immer wieder verweisen Verfassungsschützer gerade in Südbrandenburg auf eine rechtsextremistische Szene. In Spremberg wurden schon vor mehr als zehn Jahren Attacken rechtsextremer Gewalttäter bekannt.
Lorenz Blumenthaler von der Amadeu Antonio Stiftung, die das Ziel hat, die demokratische Zivilgesellschaft zu stärken und Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus einzudämmen, sieht in der Region sogar „rechtsextreme Landnahme aus dem rechtsextremen Playbook“. Gemeint ist das Besetzen von Räumen: Billige Immobilien in der vom Kohleausstieg betroffenen Region werden aufgekauft, öffentliche Plätze zum Beispiel mit Plakaten und Aufklebern als Revier markiert, Jugendliche ohne viele Freizeitoptionen angesprochen.
„Gespräche mit der Deutschen Jugend“
Der „Dritte Weg“ kommuniziert das ganz offen auf seiner Homepage. „Gespräche mit der Deutschen Jugend vor Ort bestärkten in unserem Handeln“, schreibt die laut Verfassungsschutz rechtsextremistische Gruppe. Es gebe gesteigertes Interesse bei Jugendlichen.
Blumenthaler sagt, es handele sich um „eine militant streng hierarchisch organisierte Neonaziformation“ mit Führerprinzip und NS-Ideologie. Sie biete Jugendlichen Ideologie, Kampfsport, aber auch „kulturell völkische Veranstaltungen“ wie etwa Sonnwendfeiern. Etabliert habe sich die Gruppe in einem Umfeld, in dem auch die AfD stark sei. Bei der Bundestagswahl im Februar erreichte die AfD in Spremberg 45,5 Prozent der Zweitstimmen.
Die Stadt ist kein Einzelfall
Klar ist für den Experten, dass Spremberg kein Einzelfall sei. Das sieht auch der brandenburgische Verfassungsschutz. Die Zahl der Rechtsextremisten in Brandenburg hat nach dessen Erkenntnissen im vergangenen Jahr einen Höchststand erreicht. Erfasst wurden 3.650 Personen – fast ein Fünftel mehr als im Jahr zuvor. Vier von zehn Rechtsextremisten gelten als gewaltorientiert.
Blumenthaler sieht die Corona-Pandemie als Beschleuniger der Entwicklung in den vergangenen fünf Jahren: Es sei eine existenzielle Krisenerfahrung, die den selbsterklärten Widerstand gegen „die da oben“ scheinbar legitimiert habe. Jugendliche hätten im Lockdown Ohnmacht erlebt und zugleich viel Zeit für Tiktok und Co gehabt, wo die AfD und andere rechte Gruppen stark seien.
Auf der Suche nach einem Rezept
Aber was soll die Entwicklung stoppen? „Das gebe ich ja gerne zu, dass wir bisher nicht das richtige Rezept gefunden haben“, sagt Bürgermeisterin Herntier zuletzt im ZDF. „Aber mit Sicherheit ist es falsch, so zu tun, als ob das alles nicht stattfinden würde.“ Sie erhofft sich Erkenntnisse und neue Ansatzpunkte von Verfassungsschützern, die sich für Freitag zum Gespräch angekündigt haben.
Am Mittwoch warten in Spremberg, dem letzten Schultag vor den großen Ferien, einige Schüler am Busbahnhof. Als Medienvertreter eintreffen, wissen sie sofort, worum es geht. Sie reagieren teils spöttisch, teils provokativ. Einer deutet auf einen der rechten Aufkleber.