Bei „Markus Lanz“: „Das ist infam!“: So kämpft die verhinderte Richterin um ihren Ruf

Die abgesetzte Verfassungsrichterwahl von Frauke Brosius-Gersdorf spaltet das Land. Im ZDF nahm die Rechtsprofessorin erstmals persönlich Stellung zu dem Eklat. 

Markus Lanz hat die höchste Stufe seines Drama-Modus eingeschaltet. „Linksextremistin“ oder „Opfer einer Kampagne?“, fragt der ZDF-Moderator am späten Dienstagabend in die Kameras und macht dazu ein besonders ernsthaftes Gesicht. 

Dann lässt er rasch eine klare Tendenz erkennen: „Sie ist völlig unverschuldet in einen Entrüstungssturm geraten.“

Sie, das ist Frauke Brosius-Gersdorf, 54 Jahre alt, Rechtsprofessorin aus Potsdam. Sie sitzt ihm direkt gegenüber, andere Talkshow-Gäste sind vorläufig nicht zu sehen. Brosius-Gersdorf blickt starr durch ihre Brille und presst die Lippen zusammen, ihre langen Haare hat sie wie immer streng nach hinten gekämmt. „Es gab definitiv schon bessere Zeiten in meinem Leben“, sagt sie. „Das hätte man sich in seinen schlimmsten Träumen nicht vorstellen können.“

Drohungen gegen Frauke Brosius-Gersdorf

Sie habe, berichtet sie, an ihrer Universität Drohungen per E-Mail erhalten, auch Poststücke mit verdächtigem Inhalt. „Ich musste vorsorglich meine Mitarbeitenden bitten, nicht mehr am Lehrstuhl zu arbeiten.“ 

Die renommierte Verfassungsjuristin wirkt sichtlich angefasst. Die Art und Weise, wie sogar ein katholischer Erzbischof über sie hergezogen sei: „Ich finde das infam!“

Seit etwa einer Woche nun schon steht Frauke Brosius-Gersdorf im Zentrum einer politisch-kulturellen Großschlacht. Sie ist die am stärksten umkämpfte Richterkandidatin, die es je in der Bundesrepublik gab. (Die weitaus zahlreicheren Richterkandidaten sind ausdrücklich mitgemeint.)

Am vergangenen Freitag war ihre vor Wochen von CDU, CSU, SPD und Grünen vereinbarte und im zuständigen Ausschuss bestätigte Nominierung kurz vor dem Wahltermin im Bundestag abgesetzt worden. Zuvor hatte Unionsfraktionschef Jens Spahn angesichts des wachsenden Widerstands unter seinen Abgeordneten „die Notbremse“ gezogen. So formulierte er es später selbst.

Die peinliche Absage war eine parlamentarische Premiere. Sie düpierte CDU-Kanzler Friedrich Merz und seinen Fraktionschef, verhagelte die Startbilanz der Bundesregierung und verunsichert die schwarz-rote Koalition, die doch alles viel besser als die Ampel machen wollte.

Auch wenn der Kanzler mit seiner Einschätzung recht haben dürfte, dass die meisten Deutschen den Eklat nur „aus dem Augenwinkel“ verfolgen: Die Menschen würden bestimmt ganz genau hinschauen, wenn seine Bundesregierung über die Affäre stürzte.

Kurzum, eine solche Situation gab es im Bundestag noch nie. Und was es auch noch nie gab: eine streitbare Verfassungsrichter-Kandidatin wie Brosius-Gersdorf. Das betrifft nicht nur ihre sehr pointierten Aussagen zu schwierigen Themen wie Abtreibung, Geschlechterparität bei Wahllisten und die Corona-Impfpflicht, sondern auch ihre offensive Verteidigung gegen die Angriffe. 

Am Dienstagmorgen hatte sie eine Erklärung veröffentlicht, in der sie eine Kampagne gegen sich beklagte. Die Berichterstattung „in Teilen der Medien“? „Unzutreffend und unvollständig, unsachlich und intransparent“. Dass sie als „ultralinks“ oder „linksradikal“ bezeichnet werde? „Diffamierend und realitätsfern“.

Am Dienstagabend sitzt Brosius-Gersdorf dann in ihrer Geburtsstadt Hamburg im Studio von Lanz und sagt, dass sie sich jeder sachlichen Kritik stelle, auch wenn sie hart und zugespitzt sei. Die Meinungs- und Pressefreiheit gelte, bekräftigt sie. Aber es gebe Grenzen, und die seien von einzelnen Journalisten und Politikern nicht beachtet worden. 

Diese Entwicklung bereite ihr Sorge, sagt die Professorin. „Wenn man das schon mit mir macht, dann müssen wir uns die Frage stellen, was dann in wirklich schweren Zeiten passiert.“ 

Die Kandidatin wirkt sichtlich angefasst wegen der Politisierung ihrer Person. „Ich bin weder bei Ludwig Erhard noch bei Rosa Luxemburg“, sagt sie. „Ich bin Wissenschaftlerin!“ Dass eine politische Auseinandersetzung andere Regeln besitzt als eine akademische Debatte, will sie nicht akzeptieren. „Eigentlich sind die Schwerpunkte meiner Arbeit das Schulrecht, das Verfassungsrecht und das Sozialversicherungsrecht“, sagt sie. Da aber habe leider niemand drüber geschrieben.

Brosius-Gersdorf ist am Dienstagabend nicht das erste Mal zu Gast bei Lanz. Vor einem Jahr sagte sie in der Sendung, dass ein AfD-Verbotsverfahren „ein ganz starkes Zeichen unserer wehrhaften Demokratie ist, dass sie sich gegen Verfassungsfeinde wehrt“. Dann setzte sie noch hinzu: Richtig sei, „dass damit natürlich nicht die Anhängerschaft beseitigt ist“.

Der Satz wurde denn auch von AfD-Chefin Alice Weidel in der Debatte Freitag im Bundestag genüsslich seziert. „Das ist der Sprachduktus Ihrer Kandidatin für das höchste Gericht“, rief sie der SPD zu – „die lediglich bedauert, dass man unsere zehn Millionen Wähler nicht beseitigen kann!“ 

Bei ihrem aktuellen Lanz-Aufritt gibt sich Brosius-Gersdorf an dieser Stelle selbstkritisch. Diese „eine Formulierung“ sei „nicht glücklich“ gewesen, sagt sie. Aber, so schiebt sie sofort nach: „Jeder, der die Sendung in Gänze gesehen hat, weiß natürlich, was ich damit gemeint habe: Dass mit einem Parteiverbotsverfahren nicht die Probleme beseitigt werden, die Menschen dazu veranlassen, sich von der demokratischen Mitte abzuwenden.“

In diesem Ton geht es weiter. Lanz konfrontiert die Wissenschaftlerin mit ihrer Aussage während der Corona-Pandemie: „Man kann sogar darüber nachdenken, ob mittlerweile eine verfassungsrechtliche Pflicht zur Einführung einer Impfpflicht besteht.“ Brosius-Gersdorf wirkt betont ungerührt. „Aber entscheidend ist das Wort ‚Nachdenken‘, Herr Lanz“, antwortet sie. „Das ist das, was wir Juristen jeden Tag machen.“

Schließlich gelangt Land zum Thema Abtreibung. Brosius-Gersdorf war unterstellt worden, dass sie den Schwangerschaftsabbruch bis zur Geburt legitimieren wolle.

Sie widerspricht vehement. „Wenn Sie das Lebensrecht des Embryos und die Grundrechte der Frau mit gleichem Schutz gegenüberstellen“, sagt sie, „dann können Sie den Schwangerschaftsabbruch zu keiner Zeit rechtfertigen, nicht einmal in Fällen der medizinischen Indikation.“ Allein auf dieses rechtliche Dilemma habe sie hinweisen wollen.

Brosius-Gersdorf schließt Verzicht nicht aus

„Wie geht es weiter?“, fragt Markus Lanz am Ende. „Das ist ’ne gute Frage“, antwortet die Kandidatin. „Das ist sicher heute Abend nicht der richtige Zeitpunkt, um das zu entscheiden.“ 

Die Frage sei für sie „wirklich nicht einfach“: „Es geht nicht mehr nur um mich, Herr Lanz. Es geht auch darum, was passiert, wenn sich solche Kampagnen – und es war in Teilen eine Kampagne – durchsetzen. Was das mit uns macht, was das mit dem Land macht, mit der Demokratie … das muss ich wägen.“

Es erscheint also möglich, dass Brosius-Gersdorf auf ihren Antritt verzichtet. Die SPD selbst wird ihre Kandidatin nicht zurückziehen, das hat die Bundestagsfraktion klargemacht. Hört man wiederum in die Unionsfraktion hinein, hat der mediale Doppelschlag der Verfassungsrechtlerin den Widerstand unter den Abgeordneten eher bestärkt.

Die Lage bleibt also vorerst maximal kompliziert. Am Dienstagabend saß auch die CSU-Forschungsministerin Dorothee Bär in eine Talkshow, bei Sandra Maischberger in der ARD. „Wir haben lauter mündige Abgeordnete“, sagte sie. „Und wenn die sagen, ich kann mit meinem Gewissen Frau Brosius-Gersdorf nicht wählen, dann akzeptiere ich das, dann respektiere ich es – und dann erwarte ich aber auch von der Kandidatin, dass sie mal für sich selbst überlegt, ob sie die Richtige ist.“

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