Im Bundestag kommt es zum Konflikt auf offener Bühne: Die schwarz-rote Koalition muss die Wahl der Bundesverfassungsrichter vertagen. Was deutsche Medien dazu sagen.
Das vorläufige Scheitern der Richterwahl im Bundestag hat die schwarz-rote Koalition unmittelbar vor der Sommerpause in ihre erste handfeste Krise gestürzt. Wegen massiven Widerstands in der Unionsfraktion gegen die SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf wurden die Abstimmungen über die insgesamt drei Vorschläge für das Bundesverfassungsgericht kurzfristig von der Tagesordnung genommen.
Unter Druck steht jetzt vor allem Unionsfraktionschef Jens Spahn, der die Reihen der Union nicht rechtzeitig schließen konnte. Aber auch Kanzler Friedrich Merz (CDU) wird von der SPD attackiert.
Die deutsche Presse zum Richterwahl-Debakel im Bundestag:
„t-online“: „Die Sache hatte sich so fürchterlich verzopft, weil sich die Vorbehalte gegenüber einer einzelnen Kandidatin immer mehr mit Fragen der Ehre und des anständigen Umgangs miteinander mischten. Im Haaransatz ist dieser Rasta-artige Zopf entstanden, weil sich die Union auferlegt hat, nichts gemeinsam mit der Linken und/oder AfD zu machen. Dieser Unfug muss aufhören. SPD und vor allem die Union müssen die neuen Realitäten anerkennen, dass die AfD derzeit die größte Oppositionsfraktion stellt und man deshalb bei Zwei-Drittel-Fragen wie einer Richterwahl für Karlsruhe nicht an ihr vorbeikommt. Ebenso wenig wie an Sondierungsgesprächen mit der Linken, denen in diesem Fall auch die Tür vor der Nase zugeknallt wurde, anstatt das Gespräch zu suchen.“
„Handelsblatt“: „Am Freitag sollte die Botschaft mit dem Steuerentlastungspaket in die Welt gehen, der ‚Investitionsbooster‘ für gute Laune im Land sorgen. Die Schlagzeilen aber beherrscht der Pannenstart der schwarz-roten Koalition und die Sorge: Wird es vier Jahre halten? Schließlich liegen die wirklich schweren Brocken der Merz-Regierung noch im Weg: die Reform der Schuldenbremse, massive Sparzwänge spätestens im kommenden Jahr bei Landtagswahlen, die im Osten womöglich die AfD gewinnen wird, und nicht zu vergessen die dringend nötige Reform der Gesundheits- und der Pflegeversicherung. Die Zeiten stehen auf Krise, so oder so.“
„Frankfurter Allgemeine Zeitung“: „Die Wahl der Bundesverfassungsrichter durch das Parlament ist eine politische Entscheidung und keine fachliche Olympiade mit objektiver Messung. (…) Jeder Kandidat, und davon hat auch die SPD genug, muss für eine Mehrheit vermittelbar sein. Dass ‚Paketlösungen‘ scheitern können, ist nichts Neues. Früher sind Schwierigkeiten freilich in der Regel zeitig erkannt und gelöst worden. (…) Es ist zu hoffen, dass gewisse Grundwerte in einer Koalition, in der die Union der große Partner ist, auch künftig sichtbar sind. Vorgeschobene Plattitüden reichen nicht. Schwaches Krisenmanagement ist kein Schaden für die Demokratie. Wenn man denn in dieser einstweilen gescheiterten Verfassungsrichterwahl einen Kulturkampf sehen will – er ist ein Zeichen dafür, dass die Demokratie lebt.“
„Augsburger Allgemeine“: „Ins Lehrbuch für politische Krisenkommunikation wird die geplatzte Wahl von drei Verfassungsrichtern nicht eingehen – es sei denn, als abschreckendes Beispiel. In einer Melange aus Selbstüberschätzung (SPD) und fehlendem Fingerspitzengefühl (Union) haben die Koalitionsparteien das Gericht zum Spielball von Parteiinteressen gemacht und sich dabei auch selbst kräftig blamiert. Das wird noch lange nachwirken.“
„Stuttgarter Zeitung“: „Dass der Konflikt nun auf offener Bühne ausgetragen wurde, ist die Folge miserablen Politmanagements an der Spitze der Unionsfraktion. Das gilt auch für Jens Spahns riskante Taktik, Mehrheiten mit Rechtsextremisten zu riskieren, statt mit moderaten Linken nach Kompromissen zu suchen. Den Unterschied zwischen einer staatsverachtenden Partei und einer, die zwar abenteuerlichen Politfantasien anhängt, sich letztlich aber als staatstragend erwiesen hat, sollte ein Mann in seiner Position kennen. Spahn hat sich für seinen Posten disqualifiziert.“
„Rhein-Neckar-Zeitung“: „Hätte es schlimmer kommen können? Nein. Selbst eine Nichtwahl der SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf hätte nicht diese Wucht entfalten können, die jetzt Unionsfraktionschef Jens Spahn massiv beschädigt. Und Kanzler Merz dazu. Ein Fraktionschef, der erst Zustimmung signalisiert und dann kurz vor Schluss bekennt, die Truppe doch nicht geschlossen hinter sich zu wissen, der kann eigentlich einpacken. Die Autorität von Jens Spahn ist beschädigt. Und das bei einer Petitesse. Wie schwierig wird es erst, wenn Reformen auf der Tagesordnung stehen, Grundsatzentscheidungen? (…) Beim aktuellen Bündnis wiederum scheint der Wille zur Macht nur beim Spitzenpersonal vorhanden zu sein. (…) Da stellt sich die Frage, ob wirklich jedem Abgeordneten der Regierungskoalition bewusst ist, auf welch schmalen Grat sie agieren? Schwarz-Rot muss liefern – nicht um ihrer selbst willen, sondern im mühsamen Kampf für eine stabile Demokratie. Denn selbstverständlich war diese nie.“