Stephan Weil war populär und erfolgreich. Jetzt geht der niedersächsische Ministerpräsident. Sein Nachfolger wird Olaf Lies. Für andere prominente SPDler wird es immer enger.
Eigentlich kann die SPD auf Typen wie ihn nur schwer verzichten. Bodenständig, beliebt, erfolgreich. Ab Mai wird sie es müssen. Nach zwölf Jahren als Regierungschef hat Stephan Weil genug: „Ich bin 66 Jahre alt und ich merke das auch“, sagte Weil am Dienstag, als er seinen Rücktritt ankündigte. Das Amt sei herausfordernd und anspruchsvoll. Zugleich habe er den letzten Bundestagswahlkampf als besonders anstrengend empfunden. Sein Arzt sei auch einverstanden, berichtete Weil, der freimütig einräumte, an Schlafstörungen zu leiden. Weils Fazit: „Ich habe den Eindruck, dass es Zeit ist, kürzerzutreten.“
Stephan Weil gab sich gerne stinknormal
Im Mai gibt der 66-Jährige das Amt des Ministerpräsidenten und den SPD-Landesvorsitz in Niedersachsen ab an Olaf Lies, den bisherigen Wirtschaftsminister. Es ist ein Einschnitt für das Land Niedersachsen, der aber auch Auswirkungen auf die SPD im Bund haben wird. Denn obwohl nun einer Platz macht, werden die Räume für andere immer enger.
Stephan Weil gab sich gerne als stinknormaler Typ. Als die Tugenden, die der gebürtige Hamburger von zu Hause mitbekommen habe, nannte er Anstand, Bescheidenheit, Solidarität mit den Schwächeren und Verantwortungsgefühl. Seine Karriere verlief schnurgerade, wenig aufregend, aber erfolgreich. Im Beruf: Anwalt, Staatsanwalt, Richter. In der Politik: Kämmerer, Oberbürgermeister, Ministerpräsident. „Ich bin nur ein einfacher, Bier trinkender Jurist“, sagte er einmal über sich. Doch das ist nur ein Teil der Wahrheit.
Stephan Weil ist durchaus ein Mann mit Machtbewusstsein und dem Gespür für den richtigen Zeitpunkt. Als Kommunalpolitiker hatte er sich frühzeitig ein dichtes Netzwerk aufgebaut. Auch das half ihm, sich 2011 in einem Mitgliederentscheid der SPD über die Spitzenkandidatur für die Landtagswahlen durchzusetzen. Damals besiegte er den Mann, dem er jetzt das Amt des Ministerpräsidenten weitergeben will. Olaf Lies kehrt zudem zurück in den Parteivorsitz, den er schon einmal innehatte, dann aber Stephan Weil überließ, um dessen Position zu stärken. So kann es auch zugehen in der SPD, die anderenorts, vor allem im Bund, in den vergangenen Jahren manchen brutalen Verdrängungskampf erlebt hat. Aus der Wettbewerbssituation von damals, so Weil am Dienstag, sei eine Freundschaft geworden.
Als Ministerpräsident war Weil ein Politiker zum Anfassen, der die Nähe zu den Bürgern suchte. Er erfand ein Dialogformat („Auf ein Wort“), bei dem seine Gäste ihre Fragen auf die Rückseite eines Bierdeckels schreiben konnten, was ihnen half, die Distanz zu überwinden. Seine unaufgeregte, von manchen zu simpel als langweilig beschriebene Art ermöglichte ihm nach 2013 nicht nur das zeitweise Regieren mit nur einer Stimme Mehrheit in einer rot-grünen Koalition, sondern ab 2017 nach einem harten Wahlkampf auch eine Regierung mit der CDU. Das sei eine „Koalition der Vernunft und des gesunden Menschenverstandes“, sagte Weil damals. Bei ihm war so ein Satz immer mehr als eine Floskel. Er meinte das ernst. Trotzdem wechselte er nach der nächsten Wahl wieder zu den Grünen.
Dass er zur Härte fähig ist, bewies Weil auch bei Neubesetzungen in der Vorstandsetage von Volkswagen nach dem Abgasskandal, die er entscheidend beeinflusste. Der Konzern ist das Herzstück der niedersächsischen Wirtschaft, das Land hält 20 Prozent der Anteile. Jeder Ministerpräsident sitzt qua Amt im Aufsichtsrat und weiß: Wenn VW nicht läuft, leidet das ganze Land.
Auch in der Runde der Ministerpräsidenten hatte Weils Stimme Gewicht. Zuletzt war er der Regierungschef mit der drittlängsten Amtszeit hinter Reiner Haseloff und Winfried Kretschmann. In den zahllosen Nachtsitzungen der Ministerpräsidentenkonferenz in der Corona-Zeit lieferte sich Weil einige Scharmützel mit Kanzlerin Angela Merkel und war immer froh, wenn er wieder nach Hannover heimkehren konnte. Schon als Weil 2019 für den SPD-Vorsitz gehandelt wurde, hatte er abgewunken. Der Berliner Politikbetrieb sei nichts für ihn, befand Weil aus voller Überzeugung.
Warum sich Stephan Weil und Olaf Scholz nicht um den Hals fallen
Sein Verhältnis zu Olaf Scholz gilt als distanziert professionell. „Norddeutsche Männer fallen sich nicht ununterbrochen um den Hals“, sagte er einmal. Vor allem in der Flüchtlingspolitik und über deren finanzielle Auswirkungen vertraten Weil und Scholz ihren Ämtern entsprechend bisweilen entgegengesetzte Interessen. Trotzdem zeigte sich Weil nie illoyal. Überhaupt war er für Journalisten als Quelle für fiese Zitate gegen Parteifreunde stets ein Totalausfall.
Olaf Lies, 57, Nachfolger nach zwölf Jahren im Wartestand, ist in der Partei beliebt, gilt als kompetent und genauso nüchtern-pragmatisch wie Weil. Der nannte ihn am Dienstag „einen Leistungsträger der Landespolitik“. Mit Lies‘ Karrieresprung ist aber auch klar, dass es für Hubertus Heil allmählich eng wird. Weil zu erwarten ist, dass in einer großen Koalition in Berlin die Niedersachsen Lars Klingbeil und Boris Pistorius als Minister gesetzt sind, dürfte es am Kabinettstisch für den bisherigen Sozialminister keinen Platz mehr geben. Deshalb waberte zuletzt die Variante durch Berlin, Heil könne nach Niedersachsen in die Staatskanzlei wechseln. Dieser Weg, wenn er denn je mehr war als eine theoretische Überlegung, ist ihm nun auch verbaut.